Safe Passage – #EUTürkeiDeal – Dublin IV

Safe Passage

Reaktion auf den Beitrag „Sichere Wege statt tödliches Mittelmeer“ von Gerald Knaus

Safe Passage – also die Einrichtung sicherer Fluchtwege – ist alternativlos. Die eigentliche Grundlage für den Tod in der Wüste und auf den Meeren sind letztlich nicht Schlepper, Kriege oder Hunger, denn das sind eher Mittel oder Ursachen der jeweiligen Flucht. Der Hauptgrund für das Sterben auf der Flucht ist der eklatante Mangel an sicheren Fluchtwegen, dass es keine allgemeinen, sicheren und anständigen Wege/Möglichkeiten der Flucht nach EUropa gibt. Unter den jetzigen Bedingungen haben jene, die weder das Alter, die Kraft oder das Geld besitzen, in den meisten Fällen schlechte Chancen, es überhaupt bis auf ein Boot zu schaffen, sei es, weil sie ihr Land gar nicht erst verlassen können, sei es, weil sie die beschwerlichen Wege nicht bis zum Ziel bewältigen konnten.

Deshalb sind jene, die wir beklagen, nur die Spitze des Eisbergs. Die Politik der EU-Mitgliedstaaten, die die Außengrenzen versiegeln und immer weiter zu externalisieren versucht, ist schlicht nicht realisierbar. Mittelfristig werden solche Maßnahmen bestenfalls den Effekt haben, dass das Leid vom EU-Boden ferngehalten wird. Das Leid bleibt zwar dasselbe, nur ist es nicht mehr zu sehen oder zu hören, Stichwort: Libyen. Darüber hinaus maßen sich die EU-Staaten hier Kompetenzen in souveränen Drittstaaten an, indem sie das dortige Grenzregime vorgeben.

Bei Safe Passage geht es nicht um offene Grenzen per se. Vielmehr geht es um durchlässige Grenzen, es geht um die Er-Öffnung einer anständigen und fairen Chance für jeden und jede, um den persönlichen Fall darzulegen, um Schutz und Perspektive zu beantragen und im erfolgreichen Fall systematisch, vernünftig und gerecht verteilt zu werden.

„Offene Grenzen“ wird mittlerweile viel zu sehr als politischer Kampfbegriff verwendet (von verschiedenen Seiten), der die eigentlichen Fragen dahinter jedoch überdeckt. Denn es geht natürlich nicht darum, dass 60 Millionen Menschen kommen sollen, wollen oder werden. Selbst wenn es die nächsten fünf Jahre beispielsweise zwölf Millionen Menschen würden: Die EU-Mitgliedstaaten sollten sich aufrichtig darauf vorbereiten, damit fertig zu werden, vor allem, indem wir die Energie, die wir in die Abschottung investieren, stattdessen in eine vernünftige Umsetzung einer humanen Asylpolitik investieren.

Wie so häufig ist „investieren“ der Dreh- und Angelpunkt – es muss endlich ausreichend Geld in die Hand genommen werden, beispielsweise 250 Milliarden (was etwa einem Fünftel des derzeitigen EU-Budgets entspricht, das wiederum gerade mal so groß ist, wie das eines mittelgroßen Bundeslandes in Deutschland). Es wird nicht kostenlos gehen, aber auch die Abschottung kostet, nur eben mit wesentlich geringeren Chancen auf langfristigen Erfolg.
Es bedarf deshalb eines Konjunkturprogramms für soziale, (Aus-) Bildungs- und Entwicklungsmaßnahmen, Infrastruktur, europäische Kohäsion und Kultur. In allen EU-Mitgliedstaaten für die ganze jeweilige Gesellschaft.
Gegen Maßnahmen, von denen alle profitieren, wird letztlich nur eine Minderheit Einwände erheben, deshalb sollten alle größeren Maßnahmen immer auf das allgemeine Gemeinwohl hin, nicht nur auf das einer bestimmten Gruppe orientiert sein.

Wir müssen endlich ausreichend große Summen Geld in die Hand nehmen, um die Situation grundlegend zu anzugehen, anstatt jeden Cent für Asylpolitik dreimal umzudrehen um dann nur kleine Pflaster zu kaufen – allein die Olympischen Spiele in London 2012 hat sich Großbritannien zwischen 13 und 28 Milliarden Euro kosten lassen.

Größtenteils resultiert die derzeitige Misere einerseits aus dem Unwillen, diese politische Blockade aufzulösen, andererseits ist die Misere gleichzeitig auch von womöglich zu großem Vorteil für diverse bestehende hardliner-Positionen – warum sollten diese ein Interesse daran haben, die Problematik zu lösen, bietet sie doch für die AfD, die CSU, FPÖ oder Lega die eigentliche Geschäftsgrundlage – ähnlich bei Hardliner*innen in der anti-Terrorimus-Politik, hier kommen wiederum Interessen beispielsweise von CDU, ÖVP & Co. zum Tragen.
Eine der größten mediendemokratischen Leistungen der letzten 17 Jahre ist es, aus den unterschiedlichen Begriffen Araber – Islam – Terror – Flüchtling eine Melange praktisch einzig negativer Grundannahmen zu modellieren. Dies wiederum bietet dann letztlich die willkommene Grundlage für das Polizeiaufgabengesetz in Bayern oder das Verlangen nach mehr Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, kurzum: Die massive Beschneidung von Grund- und Freiheitsrechten aller auf Grundlage einer allgemeinen und potentiellen Gefährdung durch Araber – den Islam – durch Terrorismus oder eben Flüchtlinge – gern auch gleich verkörpert durch eine Person.

Asyl vs. Wirtschaftsmigration

In dem Beitrag von Gerald Knaus ist die Rede davon, dass Menschen Asyl beantragen, die doch eigentlich „keinen Schutz brauchen“. Wer legt das nach welchen Kriterien fest?

Nehmen wir das Beispiel Ägypten, wo seit der von der EU tolerierten Konterrevolution 2013 unter Abdel Fattah as-Sisi etwa 50.000 Personen wegen politischer Gründe inhaftiert wurden. Dutzende Journalisten und Journalistinnen im Gefängnis sitzen, über 2.000 Personen spurlos verschwunden („disappeared“) sind. Es sitzt praktisch die komplette Zivilgesellschaft von 2011 im Gefängnis, ist geflohen, verschwunden oder ermordet worden. Ägypten ist ein gutes Beispiel weil hier politsche und wirtschaftliche Ursachen gleichermaßen den Druck zur Migration erhöhen und obendrein ist Ägyten ein Großempfänger europäischer Waffenexporte wie auch US-Militärhilfen und wesentlicher Bestandteil der Militärallianz, die seit Jahren den Jemen zerstört.

Politisch: Im Falle der politisch Verfolgten haben wir als Europäische Union unseren Beitrag durch die verweigerte Unterstützung infolge des sogenannten Arabischen Frühlings geleistet – von uns war keine Unterstützung zu erwarten. Wir haben die demokratischen Bewegungen im sogenannten Nahen und Mittleren Osten hängen lassen, so wie wir auch die Gezi-Bewegung in der Türkei hängen ließen. Ich denke, diese unterlassene Hilfeleistung seitens der EU und ihrer Mitgliedstaaten ist die wesentliche Fluchtursache der letzten fünf Jahre. Syrien, Libyen, Jemen – die Fluchtgründe in diesen Regionen nahmen in dieser Zeit ihren Anfang. Davor waren es aus dem Arabischen Raum vor allem die Folgen der US/UK/NATO-Invasionen im Irak und Afghanisten in 2001 beziehungsweise 2003.

Wirtschaftlich: Trotz aller Menschenrechtsverletzungen machen wir natürlich gerne weiter Geschäfte mit diesen despotischen Staaten, meistens hautpsächlich zu unserem eigenen Vorteil, indem wir diese Länder als Absatzmärkte oder günstige Produktionsstätten nutzen, nicht, um dort „blühende Landschaften“ entstehen zu sehen. Die Bekämpfung der Fluchtursachen muss anfangen bei einer fairen Handels- und Wirtschaftspolitik einerseits (auch EU-Märkte müssen sich öffnen) und bei einem fundamentalen Umdenken in der EU-Agrarpolitik andererseits. Zusätzlich sollten die Waffenexporte so weit wie möglich eingeschränkt werden. Mit diesen drei Maßnahmen wäre bereits viel gewonnen.

Investitionen: Danach lässt sich über tatsächlich hilfreiche Investitionen sprechen. In jedem afrikanischen Staat könnten beispielsweise drei EU-Universitäten gegründet werden; in jeder Küstenregion könnten Entsalzungsanlagen, in jeder Wüstenregion Solarplantagen gebaut und co-finanziert werden. In trockenen Regionen könnte Israel sein Bewässerungs-Know-How zur Anwendung bringen. Für die nötige Mobilität könnte sich die EU an einem afrikaweiten-Schienennetz beteiligen. Es gibt vermutlich hunderte potentielle Maßnahmen dieser Art, dennoch diskutieren wir hauptsächlich Miltärausbildung, Ausstattung mit Waffen und Überwachungstechnologie sowie über eher mäßige Finanzhilfen – das wird nicht gut gehen! In seinem Text schreibt Knaus, ein Marshall-Plan für Afrika würde nicht funktioneren, aber warum? Ich denke, die Militariserung Afrikas, um der EU die Flüchtlinge vom Leib zu halten, wird erst recht nicht funktioneren.

Aktuell finanziert die EU zum Beispiel Truppen im Niger, die sich an Wasserstellen positionieren um Fluchtrouten zu unterbrechen, das kann doch nicht allen Ernstes ein probates Mittle unserer Zeit sein? Es genügt in meinen Augen auch nicht, wie beim Beispiel Nigeria, darauf hinzuweisen, dass das Land doch Erdöl produziere. Lösungsorientiert wäre hier die Entwicklung von diplomatischem Druck, damit die Erlöse der Gesellschaft in Form von gemeinnützigen Investitionen garantiert zu Gute kommen – wenn sich die EU-Staaten in deren Grenzpolitik einmischen, so könnten sie das auch an dieser Stelle, denn das Versickern erwirtschafteter Gelder in Privattaschen lindert den Migrationsdruck in keiner Weise. Abkommen wie die angesprochenen mit den ECOWAS-Staaten, führen hingegen wohl eher zu einem brain drain, denn zu einer Entspannung der Lage vor Ort.

Im letzten Absatz des Textes erwähnt Knaus eine „Prinzipientreue Politik“, zwar stimme ich den dort erwähnten Punkten zu, doch höhlen alle vorangegangen Vorschläge des Textes eben diese Prinzipien doch vollkommen aus. Die angesprochenen Grundsätze werden verletzt, zwar über Bandespiel, aber dennoch grundsätzlich:

  1. Kein Zurückdrängen (non-refoulement) – Wir haben zahlreiche Pushback-Fälle an der Türkisch-Griechischen-Grenze wie auch an der zu Libyen.
  2. Keine Abschreckung durch schlechte Behandlung – Genau das passiert doch mit Libyen. Wirkliche Informationen, wie es tatsächlich für die Geflüchteten in der Türkei aussieht, haben und bekommen wir nicht. Alles, was durchsickert sind eher bedenkliche Informationen und für die Hälfte der Menschen gibt es in türkischen Lagern nichtmal ausreichend Platz.
  3. Kein Ertrinken lassen – auch wenn dabei nicht direkt zugesehen wird, so lässt sich seriös behaupten, dass höchstwahrschlich fast täglich auf dem Mittelmeer Menschen ertrinken, auch wenn wir es nicht mitbekommen. Ähnlich mit dem nicht erwähnten „Kein Verdursten“ – Menschen sterben täglich bei der Durchquerung der Wüsten. In beiden Fällen sind wir als Gesellschaft bereits so roh geworden, dass wir diese Schicksale überwiegend mit Agentur-Meldungen in der Presse begleiten, jedoch nicht mehr ausführlich und vielfältig darüber kommunizieren.
  4. Keine Festung EUropa – ist halt leider auch schon längt überholt, Stichworte: Smart Borders, Melilla, Ceuta, die ungarische Grenze, etc. Die FestungEUropa ist bereits Realität und Standard.

Keines dieser vier Prinzipien hat die letzten drei Jahre überlebt. Darum gekämpft, diese Prinzipien aufrechtzuerhalten, wurde auch nicht, wir haben sie ziemlich widerstandsfrei preisgegeben.

Ich kann mir nicht erklären, warum wir in den letzten Jahren nicht genau einen solchen Gipfel, wie er auch in Knaus Beitrag angesprochen wird, längst einberufen haben. Wir benötigen einen europaweiten Konvent zwischen Politik (lokal/national/international), NGOs, humanitären/religiösen Organisationen und potentiellen Groß-Unterstützern aus den Gesellschaften (Verbände, Unternehmen, staatliche Organisationen). Ein solches lösungsorientiertes Zusammensetzen ist überfällig.

Am Ende appelliert Knaus an einen moralischen Realismus. Nachdem, wie ich seinen Text verstehe, ist das ein Widerspruch in sich und letztlich vielmehr ein Euphemismus.

#EUTürkeiDeal

Der EU-Türkei-Deal ist meiner Meinung eines der größten politisch-moralischen Verbrechen unserer Zeit. De facto möchte sich EUropa hier freikaufen, indem es einen Deal mit Erdoğan dahingehend geschlossen hat, dass er seine Schotten dicht macht und dafür sorgen soll, dass mit Hilfe internationaler Hilfsorganisationen geschätzte drei Millionen Geflüchtete versorgt werden können.

Es ist derselbe Erdoğan, der in den letzten zwei Jahren von der gesamten deutschen, wenn nicht gar EUropäischen Presse, fast schon Hitler-esk gezeichnet wird.

Jener Erdoğan, der einen Bürgerkrieg gegen die kurdische Bevölkerung im Südosten der Türkei führt.

Jenem Erdoğan, dem Özil und Gündoğan nicht ihre eigenen Trikots schenken durften ohne als moralische Bauernopfer durchs deutsche Dorf getrieben zu werden.

Jener Erdoğan, der die Gezi-Bewegung niedergeschlagen schließ und tausende Professor*innen und Lehrer*innen im Zuge seiner politischen Säuberung entlassen ließ.

Der EU-Türkei-Deal entbehrt jeder moralischen Grundlage und ist ein moderner Orientalismus. Er ist der Knoten, der platzen muss, damit sich in EUropa tatsächlich etwas bewegen wird.

Im Fall von Afrin wurde der EU-Türkei-Deal für die dortigen Menschen gar zur tödlichen Sackgasse. Erdoğans türkische Truppen einerseits, Assads syrische andererseits. Von der EU gestützt.
Der EU-Türkei-Deal ist eine humanistische Unanständigkeit erster Güte und ihn als Schablone für nordafrikanische oder andere Staaten verwenden zu wollen, eurozentristischer Wahnsinn. Im Vergleich zum Militaristen Sisi ist der Despot Erdoğan ein Kindergartenkind und von den Janjaweed im Sudan wissen wir bereits sehr gut, was zu erwarten ist.

Wenn die ersten Lager implodieren, und das werden sie früher oder später, werden alle Seite beteuern, doch nur nach bestem Gewissen gehandelt zu haben. Die drei bis sechs Milliarden Euro an Organisationen in der Türkei sind in Anbetracht der Anzahl von mindestens drei Millionen Geflüchteten viel zu wenig. Anders gesagt: Die EU hat die Türkei hier ziemlich über den Tisch gezogen, noch dazu, wenn man bedenkt, dass es wohl weder Visafreiheit noch Zollunion für die Türkei geben wird, wobei zumindest die Visabefreiung Bestandteil des EU-Türkei-Deals ist. Eigentlich.

Die zukünftigen Deals wird die EU vermutlich noch günstiger aushandeln. Vermutlich sind ähnliche Abkommen via Arabische Liga und Afrikanische Union schon angedacht. Doch wird diese Deal-Politik früher oder später zum Bumerang werden, auch wenn es dann wieder niemand hat kommen sehen wollen.

Ich bezweifle, dass niederträchtige Deals mit Despotien – die meist selbst eine Fluchtursache sind – alternativlos sind. Sie sind die bequemste Variante für die EU, aber das wird allen früher oder später auf die Füße fallen und es gibt Alternativen.

Dublin IV–Vorschlag des Europaparlaments

Im Mai 2016 legte die EU-Kommission einen ziemlich radikalen Vorschlag zur Dublin-Reform vor, der zahlreiche Asylrechtsverschärfungen beinhaltete. So beispielsweise die sogenannten Zulässigkeitsprüfungen, nach denen festgestellt wurde, ob eine Person vor dem Asylantrag bereits einen ’sicheren Drittstaat‘ passierte, in einem solchen Fall wären die Personen dorthin zurückgeschickt worden. Ähnliches haben auch Seehofer, Salvini & Co. im Sinn. Der Kommissions-Vorschlag sah zahlreiche Maßnahmen vor, die das Grundrecht auf Asyl in der Europäischen Union gefährdet hätten. Dieser Vorschlag kam im Mai 2016 ins Europaparlament, wo die Fraktionen die Möglichkeiten zur Abänderung bekamen.

Die zugeständigen Abgeordneten schrieben den Kommissions-Vorschlag komplett um, kein Komma blieb an seiner Stelle und im Grunde haben sie in der Zeit eine völlig neue Dublin-Verordnung geschrieben, die mit den drei gescheiterten Vorgänger-Systemen nicht mehr viel gemein hatte.
Im November 2017 gelang den daran beteiligten sechs Fraktionen (EU-Gegner*innen (EKR) & Faschist*innen (ENF) ausgenommen) nach 22 Verhandlungsrunden die Fertigstellung eines Vorschlags für ein grundlegend neues Dublin-System. In den sechs Fraktionen, die diesen Parlamentsvorschlag tragen, organisieren sich 180 nationale Parteien, zusammen repräsentieren sie eine zweidrittel Mehrheit des Europaparlaments. Alle sechs zuständigen Unterhändlerinnen sind Frauen. Drei von ihnen stammen aus Italien, eine gehört der italienischen Regierungspartei der MoVimento Cinque Stelle an.

Während der Verhandlungen wurde dermaßen viel Druck aus München und Berlin ausgeübt, dass die Verhandlungen zwischenzeitlich zu scheitern drohten. Doch konnte sich Manfred Weber (CSU), der Fraktionsvorsitzende der größten EP-Fraktion – der Europäischen Volkspartei (EVP) – nicht durchsetzen und die zuständige EVP-Unterhändlerin Alessandra Mussolini blieb ihrer kooperativen Arbeit treu. Dennoch wehte während der Verhandlungen massiver Gegenwind aus Deutschland.

Der letztlich fertiggestellte und angenommene Parlamentsvorschlag sieht unter anderem vor,

  • vorgelagerte Zulässigkeitsprüfungen zu streichen, das heißt, dass Geflüchtete weiterhin in der EU Asyl beantragen dürfen, auch wenn sie zuvor einen sogenannten ‚sicheren Drittstaat‚ passiert haben;
  • ein Ende mit dem Grundprinzip von Dublin zu machen, also der EU-Staat des Ersteintritts soll nur mehr für die Verteilung, nicht aber für den Asylantrag als solchen verantwortlich sein – was letztlich die Grundlage der Misere in Italien und auf den griechischen Inseln ist;
  • einen Kriterienkatalog einzuführen, nach dem die Verteilung aus dem Staat des Ersteintritts vorgenommen werden soll. Familienanbindungen, Sprachkenntnisse, Ausbildungs- oder Studienaufenthalte werden ebenso berücksichtigt, wie die Auslastung eines bereffenden Mitgliedstaates. Auf Basis dieses Kriterienkatalogs sollen dem/der Antragssteller/in vier Länder zur Auswahl gestellt werden. Damit hätte sich das vieldiskutierte und von der CSU immer wieder angeführte Problem der Sekundärmigration praktisch erledigt;
  • Familienzusammenführungen und unbegleiteten Minderjährigen sollen Garantien zugesprochen werden;
  • keinen Sanktions- sondern einen Belohnungsmechanismus für Mitgliedstaaten einzuführen, wenn sie sich an der Umsetzung der Verteilung beteiligen;
  • Rechtsbeistand für Asylantragssteller/innen zu gewährleisten um sie während ihrer Asylprozesse nicht mehr sich selbst zu überlassen;
  • Sponsoring/Bürgschaften durch Unternehmen zu ermöglichen;
  • EU-weit allgemeine Standards für die Registrierungen aller, die Asyl beantragen, einzuführen;
  • die Aufstockung personeller Ressourcen für die Asylbehörden, damit die Dauer der Bearbeitungszeiten radikal verkürzt werden kann.
    • Dadurch soll und würde der Druck auf die Grenzstaaten sinken;
    • Dublin-Rückführungen würden durch diesen Vorschlag unnötig werden;
    • eine gleichmäßige Verteilung von Verantwortung zwischen den Mitgliedstaaten würde geregelt werden.

Dieser Kompromiss zwischen den sechs Parteifamilien ist außergewöhnlich und kommt für EP-Verhältnisse fast einer Revolution gleich. Von der Europäischen Volkspartei (EVP) bis zur EP-Linksfraktion (GUE/NGL), von Mussolini (Forza Italia) bis zur Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF). Der Text wird fraktions- und länderübergreifend getragen.

Sicherlich: Ein Kompromiss ist ein Kompromiss ist ein Kompromiss, auch dieser Vorschlag hat seine Ecken und Kanten, sowohl die Rechten als auch die Linken mussten Zugeständnisse machen. Doch ist der Zeitpunkt vorbei, an dem sich Kritik der Kritik wegen äußern lässt – in Anbetracht der Vorhaben von Merkel und Co. ist dieser EP-Vorschlag das mit Abstand progressivste, fortschrittlichste und humanste, was auf dem Tisch liegt. Wenn dieser Vorschlag keinen Einzug in die öffentliche Debatte erhält, wenn dieser Vorschlag, mit all seinen Schwächen nicht verteidigt wird, werden Salvini, Kickl, Seehofer und Konsorten demnächst die Menschenrechtskonvention anzündigen und freudig wie Rumpelstilzchen drumrum tanzen.

Denn seither blockieren die Regierungen und vor allem die Innenministerien der Mitgliedstaaten die Verhandlungsaufnahme mit dem Europaparlament und der EU-Kommission über deren Vorschläge (im sogenannten Trilog). Die Berichterstatterin und die Unterhändlerinnen der anderen fünf Fraktionen plädieren deshalb für eine Mehrheits- anstelle einer einstimmigen Entscheidung, die der Rat in absehbarer Zeit ohne erhöhten öffentlichen Druck wohl ohnehin nicht finden würde.

 

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