Am Montag passierte wieder ein Lampedusa. Also eine Bootskatastrophe, die genug Menschen das Leben kostete, um zumindest wieder einen Tag lang oberflächlich medial beachtet zu werden.
Es ist schlimm genug, dass es stets neue Steigerungen von Leid benötigt, um öffentlich-mediale Aufmerksamkeit zu wecken. Es ist schlimm genug, wie viele Striche gestern wieder auf die Liste der Mittelmeeropfer kamen.
Zynismus der Gleichzeitigkeit
Aber was bei all dem Leid so gut wie keine mediale Beachtung erhielt, war der Zynismus der Gleichzeitigkeit, der zwar seit jeher zur außenpolitischen Räson gehört, doch selten so offensichtlich und symbolisch wurde, wie in den letzten Tagen:
Das letztlich gekenterte Boot startete aller Wahrscheinlichkeit nach von der ägyptischen Mittelmeerküste. Eben jenem Land also, in dem zur selben Zeit Frankreichs Präsident François Hollande und der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel (der eine mit 60, der andere mit 100 Industriellen im Schlepptau) fleißig (Wirtschafts-) Verträge vorbereiteten. Thomas de Maizière war schon vor zwei Wochen in Kairo, um dort die Kooperation im „Kampf gegen den Terrorismus“ festzuzurren.
Sisi selbst holte sich in den letzten neun Monaten seine Investitionen und Zusagen für neue Rüstungsgüter auch gerne mal direkt in Paris, Berlin und London ab: Vielleicht zähneknirschend, aber der ehemalige General des blutigen Militärcoups von 2013 und nunmehrige Präsident Fattah Abdel al-Sisi, der seither mehr als 30.000 politische Gefangene, massenhafte Folter, Entführungen und Morde an Zivilisten zu verantworten hat, wird wieder empfangen, besucht, unterstützt und ausgenutzt.
Europa redet über Böhmermann – die Politik mit Nordafrikas Despoten über die nächsten Deals
Mit dem Elan, mit dem europäische Politik weiterhin repressive Machthaber hofiert, leistet sie ausgezeichnete Arbeit, um die aktuellen und künftigen Fluchtursachen zu stabilisieren. Eine Woche ist es erst her, da versuchte Sigmar Gabriel noch damit zu punkten, angeblich für Jan Böhmermann und die Pressefreiheit einzutreten. Wahrscheinlich hat er bei seinem gestrigen Besuch in Kairo dann auch gar nicht mitbekommen, dass das ägyptische Parlament zeitgleich die Beleidung von Mitgliedern der Regierung unter noch höhere Strafe stellte und die Gesellschaft warnte, „es mit der Meinungsfreiheit nicht zu weit zu treiben“.
Deals der illegalen Art
Die Kür besorgte dann aber der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi. Mit großem Wohlwollen begegneten die EU-Außenminister bei ihrem ebenfalls gestrigen, gleichzeitigen Treffen, seinen Vorschlägen zur weiteren EU-Flüchtlings-Prävention: Er schlägt (erneut) vor, den EU-Türkei-Deal als Blaupause auch auf solche Staaten auszuweiten, deren Verfasstheit die Umstände in der Erdoğan-Türkei fast schon geordnet erscheinen lässt, z.B. Libyen oder die Staaten der Sahel Zone.
So offensichtlich realpolitisch war EU-europäische Politik schon lange nicht mehr. Aber so dringend nötig und eigentlich simpel, die essentiellen Zusammenhänge aufzuzeigen, war es seit 2011 und dem zurückgeschlagenen „Arabischen Frühling“ auch nicht mehr.
Vor den Augen einer politisch untätigen EU und ihrer Mitgliedstaaten übernahm in Ägypten das konterrevolutionäre Militär die Kontrolle und brachen in Libyen, dem Jemen und Syrien Bürgerkriege aus. Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben die heutigen Fluchtursachen durch ihre damalige Tatenlosigkeit erst ermöglicht. Trotzdem wird wieder vorgegeben, die künftigen Fluchtursachen während ihrer Entstehung nicht zu sehen, womit sie aber zugelassen werden und deshalb schlussendlich auch mitzuverantworten sind.
Ein Kommentar Gib deinen ab